...Wer an das Mögliche glaubt, ... muß auch an ein Unmögliches
glauben...
(Jürgen Eger, Diaeklektische
Liedersprüche)
Das Volk möchte belogen werden. Jeder
möchte belogen werden. Wer klug ist, lügt! Wer sehr klug ist, lügt
nicht, denn wenn das Volk nicht belogen wird, belügt es sich selbst. Jeder
möchte das sehen, was er sehen möchte, und glaubt gern daran. Und war es
so nicht schon oft: solange das Volk belogen wird, glaubt es bereitwillig,
sagt man ihm die Wahrheit, wendet es sich ab, sei die Sache auch noch so
gut, die beste aller möglichen. Aber an das Mögliche zu glauben, ist nicht
eben spannend. Es ist sogar unbequem. Denn das Mögliche spart nicht aus,
was das Leben an Unannehmlichkeiten zu bieten hat. Der Glaube an das
Mögliche schließt ein das Registrieren des Unangenehmen, das Werten, das
Lösungensuchen und auch das, zumindest vorläufige, Akzeptieren, die,
zumeist teilweise, Kapitulation. (Es geht auch anders, nämlich durch
Übersehen oder Ignorieren oder Unter-den-Tisch-fallen-lassen bei der
großen Aufrechnung, was zwar verbreitet ist, aber der Sache, an die
geglaubt wird, nix nützt!) Wer an das Mögliche glaubt, kann sich nicht
fliehen in die Parole: "Mich geht das Leben hier nichts an, denn es ist
nicht so, wie ich es glaube." Oder: "Mir ist egal, was ist, denn es ist
immer anders, als ich es mir vorstelle." Wer an das Mögliche glaubt, kann
sich nicht so einfach freimachen von jeglicher Verantwortung, vom
Tun. Wer nur an das Unmögliche glaubt, kann damit gut auskommen in
seiner Verantwortungslosigkeit, kann ohne weiteres sich selbst treu
bleiben in seiner Tatenlosigkeit. Wer an das Mögliche glaubt, muß auch
an ein Unmögliches glauben; eher als Richtung, denn als Ziel. Er wird
sonst verkommen zu einem funktionierenden Körper ohne eigenes Denken, zu
einem Homo pragmaticus, der seine Umwelt nicht mehr bewußt gestaltet,
sondern jegliches Ergebnis seines Tuns nimmt für als zu erreichen
beabsichtigt, also Planmäßigkeit in allen Dingen und unter allen Umständen
herstellt, indem er den Plan seines Handelns nach dem Ergebnis ausrichtet.
Und so kann er existieren in dem Glauben, das erreichte sei das Mögliche
während es doch weit darunter blieb. Um das Mögliche zu erreichen, braucht
die Arbeit den Glauben an das Unmögliche, wie der Speerwerfer die Sonne
ins Visier nimmt, um Rekord zu werfen, und sie braucht den Glauben an das
Mögliche, um nicht nach dem ersten Versuch oder dem zweiten oder dem
hundertsten zu resignieren: Denn auch der Welktrekord nimmt sich
jämmerlich aus, gemessen an dem Weg zur Sonne! Und so belügen wir uns,
zuweilen. Und sind doch darin weit schlechter als die Konkurrenz, was wir
oft nicht merken, da ihre Lügen so perfekt sind, daß wir sie für die
Wahrheit nehmen. Und wenngleich das Unmögliche uns streben läßt, ohne
Lügen auszukommen, sind wir dem Möglichen nah, indem wir so schlecht
lügen, daß wir es fast immer merken. Und so vielleicht vergeht uns
irgendwann einmal die Lust am Lügen und Belogenwerden. Das Volk will
nicht belogen werden. Du kannst es fragen. Sagen wird es: Nein! Sagen
wird es: Schenk uns ein die Wahrheit, auch wenn sie ist ein saurer Wein.
Wir werden sie schlucken, auch wenn sie bitter ist wie Medizin, auch wenn
sie uns sauer kommt wie vergorenes Brot. Wenn es nur die Wahrheit ist! Wir
werden sie verdauen, irgendwie werden wir sie schon verdauen; eine
ehrliche, notwendige Arbeit das, ein ehrbarer Genuß, des man sich nicht
schämen muß. Sicher wissen wir, wird es sagen, daß die Lüge süß ist und
manch saures Leben süffig zu machen vermag. Aber sie macht auch ein böses
Erwachen und einen schweren Kopf, wird es sagen, deshalb wollen wir sie
nicht. Denn: Ein manches Volk soff schon mehr, als es vertrug und es für
die Gesundheit gut war, und es war nicht Verdienst, sondern Rache des
Glücks und der Ärzte, daß es überlebte. Wir wollen nicht die Sucht der
süßen Lüge, wird es sagen, wir haben gelernt, das eine Mal für alle
kommenden. Nein. Das Volk will nicht belogen werden
!
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